Leitartikel Unis: Kopflos und hilflos in Sachen Nahost

Polizei räumt Protestcamp an FU Berlin.
Polizei räumt Protestcamp an FU Berlin.

Den Hochschulen gelingt es nicht, sich einigermaßen rational mit dem Nahost-Konflikt auseinanderzusetzen. Erst wurde gar nicht reagiert, dann überreagiert. Doch das Problem muss dringend angepackt werden.

Weltweit protestieren Studentinnen und Studenten seit Monaten gegen das israelische Vorgehen im Gaza-Streifen. Das ist legitim, verständlich und gehört zur Meinungsfreiheit in Demokratien. Nicht legitim, keineswegs verständlich und nicht von dem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind dagegen die gewaltsamen Auswüchse, die Angriffe auf Juden und die einseitigen Anklagen, die antisemitischen Parolen, die geäußert werden.

Von Studentinnen und Studenten kann und muss man verlangen, dass sie differenzieren, die Faktenlage kennen und – vor allem – ein zivilisiertes Streitgespräch führen können. Doch das Bild, das sich in Berlin und anderswo bietet, zeugt von Intoleranz, Negieren der Fakten und oftmals blankem Hass. Das ist erschreckend, auch weil diese jungen Männer und Frauen unsere zukünftigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, unsere Pädagogen und Führungskräfte sind.

Die Universitätsleitungen waren und sind mit dieser Entwicklung offenbar völlig überfordert. Anfangs wurden die Auswüchse geduldet, jetzt kommt gleich die Polizei zum Einsatz. Beides zeugt von Hilflosigkeit. Denn offenbar traut sich kaum eine Universität an eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Nahost-Konflikt heran. Dabei wären gerade die Hochschulen der Ort, um die unterschiedlichen Positionen darzustellen und zu diskutieren. Der Ort, an dem Verständnis wachsen könnte und Lösungen gesucht werden müssten.

Höchste Zeit für Klärung

Deshalb wird es höchste Zeit, dass sich die Hochschulrektorenkonferenz mit dem Thema beschäftigt und die Unis nicht länger hilflos und in Schockstarre verharren oder überreagieren und ausschließlich auf die Staatsmacht setzen. So versuchten beispielsweise die Verantwortlichen an der Freien Universität Berlin anfangs, die antisemitischen Anfeindungen und Übergriffe einzelner Studenten zu ignorieren und sich wegzuducken. Jetzt rufen Unileitungen gleich nach der Polizei, um ihr Hausrecht durchzusetzen und Protestcamps oder Demonstrationen aufzulösen. Nachdem die Unis wegen des mangelnden Schutzes und der ungenügenden Unterstützung ihrer jüdischen Studentinnen und Studenten massiv in die Kritik geraten sind, schlägt nun das Pendel in die andere Richtung aus.

Es ist schade, wenn nicht sogar gefährlich, dass nur noch im Nahost-Konflikt erfolgen, und sich kaum einer der Beteiligten mehr auf einen ernsthaften Dialog einlässt. Symptomatisch hierfür ist die Reaktion von Bundesbildungsministerin Andrea Stark-Watzinger auf den Unterstützer-Brief von Dozenten, in dem die Unterzeichnenden das Recht auf friedlichen Protest einfordern, unabhängig davon ob sie mit den konkreten Forderungen der Demonstrierenden übereinstimmten oder nicht. Stark-Watzinger warf den Dozenten vor, Antisemitismus zu verharmlosen und „Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost“ zu haben.

Keineswegs unlösbare Aufgabe

Auf die Hochschulrektorenkonferenz, die am Montag tagt, und auf alle anderen Verantwortlichen wartet daher eine große, aber keineswegs unlösbare Aufgabe. Sie müssen klipp und klar herausarbeiten, welche Art des Protestes erlaubt ist und welche nicht – und welche Konsequenzen drohen, wenn beispielsweise das Existenzrecht Israels geleugnet oder jüdische Studentinnen und Studenten bedroht werden. Auf der anderen Seite müssen sie eintreten für Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit und eine offene, wertschätzende Diskussionskultur auf der Basis von Fakten – und nicht von Emotionen. Wenn das an den Unis nicht gelingt, wie soll das beim Rest der Gesellschaft klappen? Oder gar in Nahost?

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