Hintergrund Wie der deutsche Sport und die Justiz gegen Hass im Netzkämpfen wollen: Eine Kampfansage

Fan-Aktionen gegen Gewalt und Rassismus in deutschen Fußball-Stadien gibt es reichlich. Im Internet hingegen tobt der Hass munte
Fan-Aktionen gegen Gewalt und Rassismus in deutschen Fußball-Stadien gibt es reichlich. Im Internet hingegen tobt der Hass munter weiter.

Vor der EM und den Olympischen Spielen macht der deutsche Sport im Kampf gegen Hass im Internet gemeinsame Sache mit der Justiz. Denn Beleidigungen und Rassismus sind nicht mehr nur Einzelfälle.

Vier Uhr morgens, irgendwo in Georgien. Die Offiziellen rund um die deutsche U-21-Nationalmannschaft sitzen in einer Hotelbar zusammen, es herrscht Krisenstimmung. Aber nicht, weil das Team am Abend zuvor 1:1 gegen Israel spielte. Schon auf der einstündigen Rückfahrt vom Stadion zur Unterkunft gab es nur ein Thema: Die Häme, die sich direkt nach der Partie über Youssoufa Moukoko und Jessic Ngankam ergoss. Die beiden Nachwuchsfußballer hatten zwei Elfmeter verschossen, in den sozialen Medien wurden sie daraufhin angefeindet, rassistisch beleidigt und aufs Übelste beschimpft.

„Der Boden des Erträglichen war erreicht“, sagt Ronny Zimmermann, einer der Vizepräsidenten beim Deutschen Fußball-Bund, für den die Geschichte aus dem Juni 2023 der Anlass war, umzudenken. „Wir waren nicht mehr bereit, das hinzunehmen“, sagt er nun. Nach dem Turnier tauschte sich der DFB mit der Frankfurter Staatsanwaltschaft aus. Die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) zeigte sich offen für eine Kooperation. Das Ziel: Menschen, die Nationalspieler im Internet mehr oder weniger anonym beleidigen, identifizieren und konsequent verfolgen. Die Voraussetzung: Fälle von Hass-Botschaften im Netz, sogenannte Hate Speech, konsequent anzeigen.

An dieser Stelle finden Sie ein Video via Glomex.

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Seit 2019 beschäftigt sich die Frankfurter Staatsanwaltschaft mit dem Thema, zu Beginn lag die Identifizierungsquote unter 30 Prozent. Heißt: Nicht einmal jeder Dritte, der Hass im Netz absonderte, musste sich dafür verantworten. Dabei sieht das deutsche Strafrecht für Beleidigungen, Bedrohungen oder Volksverhetzung empfindliche Strafen vor – von Geldbußen bis zu Gefängnis. „Wir wollen als Staatsanwälte dazu beitragen, dass die Urheber strafbarer Postings identifiziert werden und sich für ihre Taten gegenüber der Justiz verantworten müssen“, sagt Oberstaatsanwalt Benjamin Krause.

1000 Fälle alle fünf Minuten

Mittlerweile würden mehr als die Hälfte der Fälle aufgeklärt werden, Tendenz steigend. „Bei einzelnen Plattformen liegen wir bei mehr als 80 Prozent“, sagt Krause, die Erfolgsaussichten würden sich zwischen den sozialen Netzwerken erheblich unterscheiden. „Diese Quote, die wir bei einzelnen Plattformen erreichen, da wollen wir hin“, sagt Krause. Dennoch gelte es in jedem einzelnen Fall, die Schwere der Beleidigung zu bewerten und beispielsweise mit dem Recht der Meinungsfreiheit abzuwägen. „Daher lässt sich nicht pauschal sagen, wann und mit welcher Äußerung eine Grenze überschritten ist“ , sagt er: Beleidigung ist nicht gleich Beleidigung.

Kritik im Netz, auch unsachliche und teils aggressive, ist kein neues Phänomen, das weiß auch der DFB. Von Einzelfällen will Vizepräsident Zimmermann aber nicht mehr sprechen. Die Kanäle der Nationalmannschaften und der einzelnen Athleten würden regelrecht explodieren. „Teilweise haben wir innerhalb von fünf Minuten 1000 Verfahren auf dem Tisch“, sagt er. Die Mitarbeiter des Verbands würden beim Abarbeiten und Löschen der Online-Beiträge nicht mehr hinterherkommen, deshalb sei die enge Zusammenarbeit mit der Justiz nun der nächste Schritt, aber auch „Ultima Ratio“, sagt Zimmermann, das letzte Mittel.

Und zwar nicht nur im Fußball. „Wir waren es einfach satt, dass unsere Sportlerinnen und Sportler tief beleidigt werden“, sagt Thomas Weikert, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, „wir müssen nicht sagen, dass das zu weit geht. Das ist einfach unsäglich.“ Der DOSB will künftig auch mit Künstlicher Intelligenz gegen Hasskommentare vorgehen. Sie soll Beiträge herausfiltern und verhindern, dass sie überhaupt erst veröffentlicht werden. „In bestimmten Fällen ist bereits die Absicht oder der Versuch solcher Kommentare strafbar“, sagt Staatsanwalt Krause auf Nachfrage der RHEINPFALZ. Um verfolgt zu werden, müssten sie nicht Ewigkeiten online stehen.

Sportler wie Politiker?

Wenige Wochen vor der Fußball-EM im eigenen Land und den Olympischen Spielen in Paris richtet der deutsche Sport eine Kampfansage an Hetze im Internet. „Mit Sport und menschlichem Miteinander hat das nichts zu tun“, sagt Weikert. DFB-Vize Zimmermann betont die Fürsorgepflicht des Verbands für seine Spieler. „Man könnte auch sagen, es ist eine Frage des Anstands“, sagt er. Beim Vorstoß von DFB und DOSB ist auch die Deutsche Fußball-Liga mit im Boot – und es sollen noch mehr werden. In absehbarer Zeit würden alle Fach- und Regionalverbände angesprochen, um sich anzuschließen.

Muss nur noch die Geschwindigkeit der Justiz mitspielen. Ein Problem: Aktuell müssen Sportler für jedes einzelne Hass-Posting einen eigenen schriftlichen Strafantrag stellen, die Staatsanwaltschaft kann nicht von sich aus aktiv werden. Das schreckt viele Athleten allein schon ob der schieren Masse ab. Deshalb fordern DFB und DOSB, die Verfahren zu vereinfachen. Erhalten etwa Politiker Hassbotschaften im Netz, ist seit April 2021 eine Strafverfolgung ohne ausdrücklichen Strafantrag möglich. Das müsse auch für Sportler gelten, „die die deutschen Farben vertreten“, sagt Zimmermann. Dass Hetze im Netz dadurch nicht komplett verschwinden dürfte, ist den Verbänden bewusst. „Aber wir wollen es zumindest eindämmen“, sagt Weikert.

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