Leitartikel EU als Vorbild mit ihrem „Grundgesetz“ fürs Digitale

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Über das Internet verbreiten sich scheinbar zügellos Hass und Hetze. Nun sollen den Online-Plattformen Zügel angelegt werden. Zum Vorbild könnte die Gesetzgebung in der Europäischen Union werden.

Im Internet galten lange die Gesetze des Dschungels: Der Stärkere hat das Sagen und agiert nach seinen eigenen Regeln. Staaten und Gesellschaft waren sichtlich überfordert von der Geschwindigkeit und der Radikalität, mit der sich diese Entwicklung im Digitalen vollzog. So wurde etwa die tsunamiartige Zunahme von Hass und Hetze in den sozialen Medien zwar allseits laut beklagt, dagegen unternommen wurde indes wenig.

Dann aber kam der 6. Januar 2021. Aus Worten wurden plötzlich Taten: Der von Ex-US-Präsident Donald Trump entfachte Sturm aufs Kapitol zeigte, wie gefährlich es werden kann, wenn sich Verschwörungserzählungen ungehindert im Netz ausbreiten. Selbst die mächtigste Demokratie der Welt schien damals in ihrer Existenz gefährdet.

Traumatisches Erlebnis

Doch nicht nur für die USA war diese Erfahrung ein traumatisches Erlebnis. In der Folge wurde daher die Rolle der Internetgiganten aus dem Silicon Valley staatenübergreifend hinterfragt. Unternehmen wie Twitter (heute X) oder Meta stellen ja nicht nur die Plattformen bereit, auf denen sich der digitale Mob austoben kann. Die Whistleblowerin Frances Haugen machte öffentlich, wie beispielsweise Facebook zum Wohle des eigenen Profits Hass und Gewalt über den verwendeten Algorithmus befördere.

Dennoch tun sich die USA schwer, eine Gesetzgebung für das Internet aufzustellen. Zwar versucht Washington gerade, das Netzwerk TikTok, das seine Wurzeln in China hat, wegen des Vorwurfs der Spionage in die Schranken zu weisen. Die eigenen Unternehmen bleiben in den USA bisher jedoch weitgehend verschont. Denn Regulierungen gelten zugleich als Innovationsbremse.

Aus diesem Grund blicken viele gespannt auf Europa. Denn die EU hat sich wirklich aufgemacht, dem Treiben im digitalen Raum mit eigenen Gesetzen Grenzen zu setzen. Geopolitisch ist die Europäische Union zwar ein oft belächeltes Fliegengewicht, wirtschaftlich jedoch ist die EU mit ihren 450 Millionen Einwohnern eine echte Weltmacht.

Es drohen Milliardenstrafen

Der EU-Ansatz klingt verblüffend einfach: Was im realen Leben verboten ist, soll auch im Internet nicht möglich sein. Konkret heißt das: Brüssel will die Plattformen dazu zwingen, endlich mehr Verantwortung dafür zu übernehmen, was in ihren Foren passiert. Die Unternehmen sollen unter anderem Falschinformationen und Gewaltdarstellungen schneller löschen. Verstößt ein Unternehmen gegen die Regeln, drohen Milliardenstrafen.

Die entsprechenden Gesetze sind nach jahrelanger Arbeit inzwischen scharf gestellt. Aus den Reaktion der Internetfirmen lässt sich erschließen, dass sie nicht von leeren Drohungen ausgehen. So hat die Videoplattform TikTok ein umstrittenes Belohnungssystem ausgesetzt, nachdem Brüssel aufgrund der neuen Gesetzeslage eine Blockade der Funktion in der EU angekündigt hatte. Auch gegen den Facebook-Mutterkonzern Meta läuft ein Verfahren wegen der Verbreitung von Falschinformationen zur Europawahl aus Russland.

Der EU ist es somit gelungen, eine Art Grundgesetz für das Internet zu formulieren. Der nächste Schritt muss sein, die Regeln konsequent durchzusetzen. Erst dann werden die Internetriesen verstehen, dass nicht mehr sie allein die Regeln des Internets bestimmen.

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